Der Teich in der Krikedill - Nach einer Erzählung von Werner Ottberg (+ 08. Oktober 2016)

Nachmittags zog es uns in die Krikedill. Ich war noch keine 10 Jahre alt und gehörte zu den Jüngeren. Wir, das waren  Walter und Theo Schwöppe, Franz Robert, mein Bruder Willi Ottberg, Heinz Höppe und Bubi Reckert, ja, und dann noch Jupp Gajewski und Theo Page. Zu Beginn des "Dritten Reiches" wurde in der Krikedill ein Teich ausgehoben. Er lag  zwischen Steinrapener Bach und Krikedillweg an der Schachtstrasse. Heute ist da der Busch zwischen Bach, Krikedillweg und dem Wohnhaus an der Schachtstraße. Die Arbeiter hatten damals ca. 50 m Feldbahngleis mit Loren, um den   Aushub, der wie Torf aussah,   zu einem höher gelegenen Lagerplatz zu transportieren. Feldbahnen waren in jener Zeit auf jeder größeren Baustelle zu finden. Die Loren wurden mit Muskelkraft geschoben. Mit ihren Spaten stachen die Arbeiter rechteckige Torfstücke aus. Vielleicht war es kein richtiger Torf, aber  jedes  Stück war braun und torfig. So entstand der Löschteich, ca. 1,5 Meter tief. Abends wurden die Loren vom Gleis gekippt. Denn wir Kinder sollten nicht damit herumfahren .


Pfannekuchen und Geigenunterricht, Nachtigallen und Zaunkönige

Am Steinrapener Bach gab es Wasser in Hülle und Fülle. Mehrere Quellen sprudelten kräftig. Die stärkste entsprang vor Sprengers Haus an der Böschung unterhalb des Krikedillweges. Ein kleiner Trog, der mit Brettern und Pfählen eingefasst war, nahm das Wasser auf. Sommertags stellten Sprenger ihre Milchkannen zum Kühlen hinein. Von der Quelle aus floss der Bach hinter Gößlings Haus vorbei. Das Gößlingsche Haus gibt es nicht mehr. Es lag etwas tiefer als der Weg. Eine mächtige Kastanie stand davor. Frau Gößling war herzensgut und gebildet. Sie malte gern. Gebürtig war sie aus Böhmen. Ich  glaube, sie hat ihr Heimweh nie überwunden. Die Gerüche aus ihrer niedrigen Küche verführten mich  oft, vor dem Hauseingang stehen zu bleiben. Wenn Hans Gößling, dem  ältesten von Gößlings Kindern, Geigenunterricht in Recklinghausen hatte, dann warteten wir auf ihn. Oft brachte er uns einen Teller mit Pfannekuchen heraus, die bei Gößling ganz besonders gut schmeckten. Dann saßen wir auf der Böschung vor der Haustür und schmausten behaglich. Danach ging er mit uns zum Spielen in Sprengers Wiese. Von Gößlings plätscherte der Bach weiter vor Kottmanns Haus entlang und an dem kleinen Fachwerkhäuschen, in dem Möllers wohnten, vorbei. Dann floss er nach einem Linksknick gegenüber von Wesselbaum zum Teich und von diesem  in den  Steinrapener Bach. Später erst hat man den offenen Bachlauf vor Kottmanns Haus in ein Rohr unter die Erde gelegt. Zu der Zeit gab es in der Krikedill nicht so viele Kinder unseren Alters wie einige Jahre später. Die Kinder dort waren alle schon älter als wir. Aber schön war es in der Krikedill: idyllisch, ein wenig wildromatisch, einsam, ganz anders als bei uns auf dem Kolven. Genaugenommen gehörte ich nicht zum Kolven, der begann in der damaligen Vorstellung bei Köster und endete bei Gößlings Haus, in welchem Mieloch wohnten und Schwöppe ein Lebensmittelgeschäft hatten. Heute ist dort das Haus von Bruno Alt. Wir wohnten beim Bäcker  Vorwerk im Haus, also außerhalb der Kolven-Meile, die später auch scherzhaft Königsallee genannt wurde. Das hat aber mit der Schützengilde zu tun. In der Krikedill gab es Nachtigallen und Zaunkönige und Kiwitte, Spechte und Fasanen. Zwischen  Steinrapener Bach und Karlstraße  lagen die großen, sumpfigen Heuwiesen von Jeismann und Leppelmann. Das ganze Gelände bis zum Schacht  IV/V hin zwischen Schachtstraße und Steinrapener Weg  war mit Gras bewachsen und von Abzugsgräben durchzogen. Auch da gab es Quellen an vielen Stellen im Gelände. Zum Ackern war das Land nicht geeignet; auch als Viehweide konnte man es nur schlecht gebrauchen. Heuwiesen waren es, voller Frösche und Blumen, mit braunen Wasserpfützen zwischen dem harten, hohen Gras. Ein Paradies voller Düfte von Erde, würzigen Kräutern und brakigem Wasser.


Arbeitslosigkeit und jede Menge Zeit

Sprengers hatten neben ihrem Garten einen Appelhoff. Daraus mussten wir Jüngeren immer erst einige Äpfel klauen, wenn wir am späten Nachmittag  zur Teichbaustelle liefen. Mit einiger Anstrengung brachten wir dort eine Lore wieder auf die Schiene und unser Spiel konnte beginnen. 50 Meter Feldbahngleis und eine Lore sind ein vorzügliches und komfortables Spielzeug für Jungen, besser als alle heutigen Abenteuerspielplätze. Es war schon eine prima Sache, zuerst langsam und dann immer schneller mit der Lore in die große Pfütze zu rollen, welche sich bereits am Boden der Teichgrube gebildet hatte. Das Wasser des Teiches kam aus dem Grund,  Grundwasser war es, daß aufwärts drückte. Zusätzlich floß das Wasser aus Sprengers Bach in den Teich. Als Abfluß gab es zum Steinrapener Bach hin einen Überlaufgraben. Als der Teich fertig war, pflanzte man um ihn herum allerlei Gebüsch: kleine Trauerweiden, Holunder, Weigela, Jasmin, Amerikanische Eichen, Silberpappeln, Knallerbsen und anderes Buschwerk. Ein paar Sitzbänke kamen dazu. Der Teich entwickelte sich schnell zu einem Ausflugsziel für Rapen. Mütter und Väter mit Kinderwagen trafen sich dort und man kam zum Baden. Damals, während der großen Arbeitslosigkeit, hatten die meisten Rapener mehr Freizeit als ihnen lieb war. Zur Schachtstrasse hin war eine kleine Wiese, auf der viele Arten von wilden Blumen wuchsen: Schlüsselblumen, Vergissmeinnicht, Sumpfdotter- und Kuckusblumen, Lichtnelken und Buschwindröschen.

Libellen , Ruhe und kaum Autos

Jahre später nach dem Kriege, als ich aus der Gefangenschaft kam, war all das Gepflanzte groß und üppig geworden. Die Trauerweiden hatten sich prächtig entwickelt. Alles stand schön einmütig mit den alten Eichen, die zum größten Teil noch heute den Krikedillweg beschatten. Die Krikedill hatte auch wieder viele heranwachsende Kinder im Spielalter. Sie fingen, wie wir vor dem Krieg, Stichlitze (Stichlinge) und bauten Boote und Flöße mit denen sie auf dem Teich hin und her stakten. Sie spielten Seeräuber oder Fischer oder  Kapitän und Matrose. Man konnte in aller Ruhe Frösche fangen und angeln, Libellen bei der Jagd beobachten und Schmetterlinge sehen. Vögel zwitscherten und vom  "Pütt"  klang gedämpfter Maschinenlärm. Ab und an hörte man Gesprächsfetzen aus den Gärten und von den Feldern. Von der Ewaldstrasse her kamen nur ganz selten  Automobilgeräusche; anders als heute, wo niemals, zu keiner Minute, der Straßenlärm völlig verstummt, ob in der Nacht oder am Tage. Aber jede halbe Stunde kreischte damals und ratterte die Straßenbahn der Linie "2" bergab und hielt quietschend an der Haltestelle Schachtstraße. Von Datteln kommend, war  sie leiser.


Ein Unglück

Später konnte man im Teich, der als Löschteich geplant worden war, dessen Wasser meines Wissen aber niemals zum Löschen verwendet werden musste, auch Karpfen angeln. Die hatte ein Onkel von Wesselbaums dort eingesetzt. Sie vermehrten sich sehr schnell und wurden groß und schwer. Im späten Frühjahr verwandelten sich tausende Kaulquappen zu kleinen Fröschen, die an Land krabbelten. Dann war die Erde für Tage mit kleinen Fröschen übersät. Wo man ging und stand trat man auf Frösche. Die Hühner der Krikedill, die sonst am Teichufer scharrten und pickten, hatten Festtag. Sie fraßen sich satt an Fröschen. Die Enten und Gänse hielten natürlich feste mit. Unglücke gab es auch. Ein kleines Kind ertrank als die Mutter ihre Ziege molk. Unbemerkt war der zweijährige Junge zum Teich gelaufen und hineingerutscht. Wenn wintertags eine Eisdecke den Teich bedeckte, tummelten sich darauf noch mehr Kinder. Sie schlinderten oder spielten Eishockey. Einige hatten auch Schlittschuhe. Bei zu dünnem Eis brach schon mal jemand ein.


Schön ist es immer noch in der Krikedill

Mitte der fünfziger Jahre versiegte die Quelle bei Sprenger, der Steinrapener Bach war tiefer gelegt worden und der Grundwasserspiegel sank. Den Teich verfüllte man mit Hausmüll. Dann pflanzte man Pappeln. Ich bin mit meinen Kindern noch oft in die Krikedill gegangen.  Vielleicht haben meine Erzählungen vom Löschteich dazu beigetragen, dass auch sie gerne dort waren. Einiges hat sich verändert. Neun neue Häuser sind entstanden. Wenn man Gößlings Schmiede mitzählt, sind vier alte verschwunden. Schön ist es immer  noch dort. Spaziergängern begegnet man oft. Die Feuchtwiesen sind jetzt der Gewerbepark an der Karlstraße, der auch schon nicht mehr ganz neu ist. Beim Gedanken an die Teichbaustelle bitte ich insgeheim die Arbeiter um Verzeihung. Morgens mußten sie immer ihre Loren aus dem Wasser holen. Wir hatten aber doch solchen Spaß daran, die Loren zum Schluß unseres Spiels mit großer Geschwindigkeit in die Teichgrube zu rollen, wo sie dann mit großem Platsch entgleisten. Bleibt noch der Name Krikedill zu erklären. Dille ist eine Vertiefung. Kriekenten sind kleine Wildenten. Krieken, die Enten, und Dille, das kleine Tal, bilden den Namen Krikedill.

(Ulrich Müter, 1994)